Was finden Außenstehende an der Gülen-Bewegung?
Jahr für Jahr erreichen die internationalen Fachtagungen über die Gülen-Bewegung ein höheres Niveau und mehren dadurch das Ansehen der Bewegung in aller Welt. Auf diesen Tagungen kommen Wissenschaftler und Interessierte aus den USA und aus Russland, aus Ägypten und aus England, aus Schweden und aus Malaysia zusammen und präsentieren ihre Forschungen. Aber aus welchem Grund interessieren sich all diese Menschen überhaupt für Fethullah Gülen, seine Gedanken und seine Bewegung? Warum hat die Gülen-Bewegung so viele Förderer aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen?
Anlässlich der Konferenz ,Muslime zwischen Tradition und Moderne. Die Gülen-Bewegung als Brücke zwischen den Kulturen", die Ende Mai an der Universität Potsdam stattfand, habe ich einigen Teilnehmern, unter anderem Soziologen, Theologen, Politikwissenschaftlern und Pädagogen, ein paar Fragen zur Gülen-Bewegung gestellt. Ihre Antworten mögen zwar nicht repräsentativ sein, sind jedoch meiner Ansicht nach sehr aufschlussreich.
Der Vorsitzende des Deutschen Orient Instituts in Berlin und frühere deutsche Botschafter in Pakistan, Dr. Günter Mulack, lobte die Gülen-Bewegung in höchsten Tönen: "Die Bewegung legt größten Wert auf Bildung, Toleranz, Zusammenleben, Motivation und ehrenamtliche Arbeit. Das schätze ich sehr. Der respektvolle Umgang mit den Mitmenschen steht bei ihr im Vordergrund. Dieses Verständnis beruht auf der religiösen Lebensweise und dem Islam-Verständnis der Mitglieder der Bewegung."
Prof. Dr. Hans-Jürgen Feulner, Theologe an der Universität Wien, sieht es ähnlich: Interkulturelle und interreligiöse Dialogbemühungen sind ihm zufolge sehr wichtig, um das gegenseitige Verständnis zu stärken. Laut Feulner ist die Gülen-Bewegung weltoffen und bietet Freiraum für jeden, der sich engagieren möchte.
Gerd-Günter Finck vom Jugendamt in Bad Oldesloe zeigt sich beeindruckt von der Toleranz der Gülen-Bewegung gegenüber Andersgläubigen. Die Denkweise getreu dem Motto "Am Ende liegt alles in Gott Hand" imponiert ihm dabei sogar noch mehr als das Zugehen auf die Mitmenschen.
Der Rabbiner Prof. Dr. Reuven Firestone vom Hebrew College in Los Angeles lobt die Offenheit der Gülen-Bewegung. Während sich viele Minderheiten heutzutage in Ghettos verstecken, strebe die Gülen-Bewegung danach, gesellschaftlich aktiv zu sein und in den Ländern, in denen sie tätig ist, an den Aktivitäten der Mehrheitsgesellschaft zu partizipieren. Ihre muslimische Identität gäben die Mitglieder der Bewegung dabei freilich nicht preis: "Sie repräsentieren den Islam in seiner reinen und schönen Form. Die Gülen-Bewegung ist eine ganz besondere Bewegung, die Ihresgleichen sucht. Deshalb glaube ich, dass sie für den Weltfrieden sehr wichtig ist, und denke, dass sie einen überaus positiven Beitrag dazu leisten wird."
Pfarrer Werner Ross aus Rheinfeld hält das Engagement der Gülen-Bewegung für bewundernswert. Deshalb plant er, die Kirchen und Behörden in einem Schreiben dazu aufzufordern, Kontakt zur Gülen-Bewegung aufzunehmen, um so den Dialog zu stärken und zu intensivieren.
Die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Derichs aus Hildesheim lobt ausdrücklich, dass sich die Bewegung nicht von rigiden Strukturen einzwängen lässt. Sie schätzt an der Gülen-Bewegung besonders das beispielhafte soziale Mitgefühl.
Der Anthropologe und Religionshistoriker Prof. Dr. Tord Olsson verweist ebenfalls auf das soziale Element der Gülen-Bewegung. Schon deshalb sei sie sehr wichtig für die heutige Zeit. Ihm gefallen darüber hinaus auch das exzellente Bildungssystem der Bewegung und ihre zum Teil mystische Färbung. Ihre Ethik habe Ähnlichkeit mit der Ethik des protestantischen Soziologen und Politikers Max Weber (1864-1920). Die Bewegung sei außerdem säkular ausgerichtet, wissenschaftlich orientiert und zugleich sehr modern.
Auch der Mainzer Pastor Ulrich Kosing würdigt besonders das soziale Element der Bewegung. Die aus der Religion gezogene Motivation sei wunderbar, so Kosing.
Prof. Dr. Leonid R. Sykiainen ist Verfasser von über 160 Büchern und lehrt an der Universität Moskau Jura. Er betont, dass die Gülen-Bewegung nicht dogmatisch ist. Sie vereine viele Gedanken in sich und forme sie zu einem Ganzen. Deshalb hält Sykiainen die Bezeichnung ,Gülen-Bewegung' auch für unangebracht. Sie spiegle die enorme Bandbreite der Bewegung nicht angemessen wieder und lasse die großartige Toleranz und die weitreichenden Tätigkeitsfelder der Mitglieder dieser Bewegung in den Hintergrund treten. Heutzutage werde Stärke meistens über militärische oder wirtschaftliche Macht definiert. Die Gülen-Bewegung beziehe hingegen ihre Stärke aus ihren Werten: "Die Gülen-Bewegung ist weltweit tätig und schöpft ihre Kraft aus der Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen. Die von ihr initiierten Kultur- und Dialogveranstaltungen bieten ein neues Ethik-Verständnis. Diese Kraft muss gestärkt werden, um ein Gegengewicht zur militärischen und wirtschaftlichen Gewalt bilden zu können. Nach dem Vietnam-Krieg suchten viele amerikanische Soldaten Zuflucht in der Schweiz. Warum? Weil es dort Gerechtigkeit gab. Warum gilt Norwegen als ein vorbildliches Land? Doch nicht, weil es vor militärischer und wirtschaftlicher Stärke strotzt, sondern weil der Ministerpräsident des Landes die grundlegenden Menschenrechte achtet und eine gesunde Ordnung herrscht. Ob die Ideen Fethullah Gülens in Europa oder in anderen Gesellschaften in die Praxis umgesetzt werden können, lässt sich heute noch nicht sagen. Jedoch sollten wir uns dafür einsetzen, dass dies geschieht. Je mehr über die Bewegung gesprochen und je mehr über sie geforscht wird, desto mehr Akzeptanz und Anklang werden ihre friedliebenden und versöhnlichen Ideen finden."
Der Historiker Dr. Klas Grinell von der Universität in Göteborg hebt die Bedeutung der Person Gülens hervor: "Die moderne Wissenschaft tut sich schwer mit der Ethik. Hier finde ich die Ausführungen Gülens sehr wichtig. Ohne ihre Wurzeln in den Grundwerten Europas zu haben, ist die Gülen-Bewegung zum globalen Akteur geworden. Gülen kritisiert das vorherrschende Denken unserer Zeit und präsentiert uns frische und wichtige Beiträge für das Zusammenspiel von Verstand und Ethik."
Auch der früheren Lehrerin Ursula Kallebach haben es die friedvollen Lehren Gülens angetan: "Die Bewegung bietet uns Lösungsansätze gegen Gewalt jeglicher Art. Deshalb müssen diese Ideen in die Praxis umgesetzt und bekannt gemacht werden. Vor allem in Deutschland kann im Bereich Bildung viel getan werden. Diese Bewegung kann den türkischen Kinder dabei helfen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden."
Der Theologe Dr. Pim Valkenberg vom Loyola College in Baltimore staunt darüber, dass die Gülen-Bewegung einerseits so offen gegenüber der westlichen Welt ist, andererseits aber darauf achtet, ihre religiöse Identität zu wahren.
Prof. Dr. Paul Weller, ebenfalls Theologe an der Derby Universität in England, ist vor allem von der Verbindung zwischen Wissenschaft und Religion fasziniert.
Wie schon an den Tätigkeitsfeldern und Herkunftsländern dieser Teilnehmer abzulesen ist, bieten die Konferenzen über die Gülen-Bewegung Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Schichten eine Dialogplattform. Und auch die Bewegung selbst führt Menschen aus verschiedenen Kulturen und Schichten zusammen. Gemeinsam versuchen sie, die Ideen von einem friedlichen Zusammenleben und vom Aufbau einer besseren Welt in die Tat umzusetzen.
In vielen Ländern der Welt finden die Ideen und Aktivitäten der Gülen-Bewegung im Großen und Ganzen Akzeptanz. Doch nach wie vor schlägt der Bewegung auch Misstrauen entgegen, das zu weiten Teilen auf Unkenntnis und Vorurteilen basiert. In mancher Hinsicht trifft dies sogar auf muslimische Kreise eher zu als auf die Öffentlichkeit in westlichen Gesellschaften. So wird die Gülen-Bewegung zum Beispiel diffamiert, nur weil sie von angesehenen jüdischen und amerikanischen Kreisen unterstützt wird. Ihr wird eine Abhängigkeit zugeschrieben, die gar nicht existiert. Das führt zu einer falschen Wahrnehmung. Wenn die Ansätze Gülens in der Welt Gehör finden und respektiert werden, zeugt das nicht von Abhängigkeit, sondern es zeigt vielmehr, wie wichtig sie sind und wie wichtig es außerdem ist, dass diese Ansätze in die Tat umgesetzt werden. Vor allem die Friedensbotschaft von Gülen und seiner Bewegung setzt ein Ausrufezeichen im und für den globalen Dialog. Auch in Russland, ja in ganz Asien und Afrika wird diese Bewegung der Freiwilligen sehr positiv gesehen und begrüßt. Möglich ist das nur deshalb, weil der Ursprung der Bewegung in den traditionellen anatolischen Werten Toleranz und Mitgefühl liegt. Diese liegen dem ganzen Wirken der Bewegung zugrunde und bringen fast zwangsläufig Dialog und Gedankenaustausch hervor. Es gibt nicht viel, worauf die Welt von heute mehr angewiesen wäre. Die große materielle und spirituelle Unterstützung, die die Bewegung erfährt, zeugt davon, dass Tradition und Moderne ebenso miteinander zu vereinbaren sind wie Herz und Verstand, Wissenschaft und Religion. Die Gülen-Bewegung fördert das Mitgefühl unter den Menschen - ganz so, wie es der Schöpfer uns aufgetragen hat. Wenn sie sich also für Frieden unter den Menschen einsetzt, müsste sie dann nicht gerade von den religiösen Kräften der Welt mit offenen Armen aufgenommen werden?
Die Fontäne, Oktober - Dezember 2009, Jahrgang 12, Nr. 46
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