Manche Leute behaupten, die Muslime hätten sich wie westliche imperialistische Mächte verhalten, weil auch sie mit dem Ziel der Eroberung und Ausbeutung in fremde Länder einmarschiert seien und diese besetzt hätten. Haben sie Recht?
Diejenigen, die mit den schlimmsten imperialistischen Absichten (und Folgen) fremde Länder überfielen, besetzten und ausbeuteten, waren allesamt machthungrige Individuen oder Nationen: von Alexander bis Napoleon, von den Römern bis zu den Deutschen und von der russischen Diktatur bis zur amerikanischen Supermacht. Überall dort, wo es zu imperialistisch motivierten Eroberungsfeldzügen kam, verdarben diese die Moral und hinterließen Chaos, Konflikte, Tränen, Blutvergießen und Verwüstung. Heute schicken sich die Erben dieser Art von Eroberern an, den Islam, seinen Propheten und seine ruhmreichen Gefährten zu beleidigen. Dabei verhalten sie sich wie ein unverfrorener Dieb, der den Eigentümer eines Hauses zu täuschen und davon abzulenken versucht, dass er in diesem Haus einen Diebstahl begangen hat.
Zu einer Zeit, in der muslimische Armeen einen Triumph nach dem anderen feierten, sagte der Kalif Umar: „Es ziemt sich für mich, auf dem Niveau der ärmsten Muslime zu leben. Und das tat er dann auch. Wen hat dieser Kalif eines so großen Reichs denn ausgebeutet? Für seinen eigenen Lebensunterhalt benötigte er doch nur ein paar Oliven am Tag.
Als ein Muslim einmal nach einer Schlacht aufgefordert wurde, die Habseligkeiten eines feindlichen Soldaten, mit dem er gekämpft und den er getötet hatte, an sich zu nehmen, sagte er: „Ich habe an dieser Schlacht nicht teilgenommen, um Beute zu machen." Er deutete auf seine Kehle und fuhr fort: „Was ich mir wünsche, ist, von einem Pfeil an dieser Stelle getroffen zu werden und als Märtyrer zu sterben." Und so geschah es denn auch. Wen hat dieser Muslim ausgebeutet? Sein einziges Anliegen war doch, als Märtyrer zu sterben.
Bei einer anderen Schlacht kämpfte ein muslimischer Soldat mit einer führenden Persönlichkeit des Feindes, die viele Muslime auf dem Gewissen hatte, und tötete sie. Der Befehlshaber der muslimischen Armee sah, wie sich der Muslim von seinem toten Feind entfernte. Der Befehlshaber ging zu dem toten Soldaten und rief den Muslim, der ihn getötet hatte, zu sich. Dieser weigerte sich zunächst, ihm zu gehorchen, aber der Befehlshaber rief ihn im Namen Gottes zurück. Nun fühlte sich der Muslim verpflichtet zurückzugehen, bedeckte aber sein Gesicht mit einem Stück Tuch. Zwischen dem Befehlshaber und ihm entwickelte sich folgendes Gespräch:
- Hast du ihn um der Sache Gottes willen getötet?
- Ja.
- Gut! Nimm also diese Tausend-Dinar-Münze!
- Aber ich tat es doch um der Sache Gottes willen!
- Wie ist dein Name?
- Was bedeutet dir schon mein Name? Wahrscheinlich willst du ihn nur herumerzählen und sorgst so dafür, dass ich meinen Lohn (thawab) für diese Tat im Jenseits verliere.
Ist es denn überhaupt möglich, dass Männer mit einer solchen Gesinnung Menschen ausplündern und überall in der Welt Kolonien errichten? Um es ganz klar zu sagen: Menschen, deren Hass und Feindschaft gegenüber den Muslimen so groß sind, dass sie derart offenkundige Lügen in die Welt setzen, werden wohl nie die Wahrheit sehen und hören geschweige denn einsichtig und vernünftig werden!
Schauen wir uns nun einmal an, wie Ausbeutung und Imperialismus überhaupt definiert sind.
Der Imperialismus (gelegentlich auch als Kolonisation bezeichnet) ist eine Herrschaftsform, bei der ein reiches und mächtiges Land die Kontrolle über andere Länder und deren Handel und Politik ausübt und auf deren Kosten den eigenen Reichtum und die eigene Macht vermehrt. Es gibt jedoch unterschiedliche Arten von Ausbeutung. In der Welt von heute kann sie folgende Formen annehmen:
1. Einmarsch und uneingeschränkte Oberherrschaft mit dem Ziel, ein Land zu erobern, seine Ureinwohner zu enteignen und die direkte Herrschaft und Souveränität der Invasoren zu etablieren. Beispiele für diese Form sind die europäischen Siedler und die Indianer in den USA, die britischen Siedler und die Aborigines in Australien oder die jüdischen Siedler und die Palästinenser in Palästina.
2. Militärische Besatzung: Diese dient der Unterwerfung eines Volkes mit Waffengewalt. Mit ihr sabotiert man das öffentliche Leben dieses Volkes und versucht, dessen Land und Ressourcen zu kontrollieren. Die Briten z.B. herrschten so in Indien.
3. Einmischung und Intervention: Die offene oder verdeckte Einmischung in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines Landes wie auch in dessen Wirtschaft und Verteidigung. Beispiele für diese Form sind alle Länder der Dritten Welt, die offen von den Industriestaaten manipuliert und kontrolliert werden.
4. Der Transfer von Intellektuellen. Dies ist die gebräuchlichste und gefährlichste Form von Imperialismus in der heutigen Zeit. Junge, intelligente und begabte Bewohner der Länder, die ausgebeutet werden sollen, werden ausgewählt, mit Stipendien versehen, im Ausland ausgebildet, in verschiedene Lobbys und Logen eingeführt bzw. aufgenommen und schließlich in der Verwaltung dieser Länder eingesetzt, um so auf deren Geschicke Einfluss zu nehmen. Auf diese Weise werden entweder Einheimische oder Ausländer, die mit den Ausbeutern im Ausland in Verbindung stehen, in entscheidende Positionen des Staatsapparats geschleust, und die Burg wird von innen erobert.
Im vergangenen Jahrhundert bedienten sich die Imperialisten westlicher Staaten dieser Methode der Kolonialisierung in großem Stil und wurden so unglaublich einfluss- und erfolgreich. Auf diese Weise erreichten sie ,sanft' und ohne die Feindschaft der Völker, die sie unterwerfen wollten, auf sich zu ziehen ihre Ziele. Die Völker der islamischen Welt sitzen heutzutage mehr oder weniger alle in der Falle und werden missbraucht und ausgebeutet.
Egal welcher Form von Imperialismus sie unterworfen sind, immer leiden die betroffenen Länder unter einer ganzen Reihe von negativen Konsequenzen:
1. Über verschiedene Integrationsstrategien werden die Völker ihren eigenen Werten, ihrer nationalen Kultur und ihrer Geschichte entfremdet. Sie stürzen in Identitäts- und Sinnkrisen. Weder kennen sie ihre eigene Vergangenheit noch sind sie in der Lage, ihre eigene Zukunft zu gestalten.
2. Enthusiasmus, Anstrengungen und Eifer, ihr eigenes Land zu unterstützen und weiterzuentwickeln, werden gedämpft. Ihre Industrie wurde von den imperialistischen Ländern abhängig gemacht; Wissenschaft und Bildung werden unproduktiv gehalten und stehen im Abseits; anstatt das freie Studium und die freie Forschung zu fördern, wird der Wert der Imitation propagiert.
3. Die Völker sterben zwar nicht, erwachen aber auch nicht zu neuem Leben; stattdessen begeben sie sich in eine verhängnisvolle Abhängigkeit von Ausländern. Die Menschen werden durch leere Worte wie Fortschritt, Verwestlichung, Zivilisation und andere ruhig gestellt und getäuscht.
4. Alle Institutionen des Staates erhalten Förderungen aus dem Ausland, d.h. sie verschulden sich finanziell und kulturell massiv. Import, Export und Entwicklung stehen unter vollständiger Kontrolle der ausbeutenden Länder bzw. werden von diesen sanktioniert.
5. Während keine Mühe gescheut wird, die Masse der einfachen Leute in Armut zu halten, gewöhnt man die herrschenden Klassen daran, ein extravagantes und luxuriöses Leben zu führen. So sät man das Gefühl der Unzufriedenheit unter das Volk. Die Menschen werden zu Aggression und Kampf gegeneinander erzogen, wodurch sie für immer anfällig für Einfluss und Intervention von außen werden.
6. Da die Kreativität von Verstand und Geist unterdrückt wird, neigen Bildungseinrichtungen zur Imitation ausländischer Gedanken, Inhalte und Themen. Die Industrie beschränkt sich auf das Zusammensetzen vorgefertigter Teile, und die Armee wird zum Schrotthaufen der imperialistischen Länder. Um deren Industriezweige am Leben zu halten, wird überteuertes Material eingekauft.
Ich frage mich, ob es wirklich vernünftig bzw. überhaupt möglich ist, die islamischen Eroberungen mit dem imperialistischen Herrschaftssystem zu vergleichen, das doch so katastrophale Auswirkungen mit sich bringt.
Zunächst einmal hat der Islam niemals einen großen Exodus der Menschen aus ihren Häusern und Ländern herbeigeführt oder irgendjemanden durch das Anlegen von Ketten an Händen und Füßen am Arbeiten gehindert. Er hat den Menschen die Freiheit gelassen, ihre Anschauungen und ihren Glauben ohne Einschränkungen zu praktizieren, und Nicht-Muslime genauso wie Muslime beschützt. Die muslimischen Gouverneure und Herrscher wurden auf Grund ihrer Gerechtigkeit und Integrität respektiert, und zwischen den verschiedenen Gemeinschaften herrschten Gleichheit, Frieden und Sicherheit. Wenn dem nicht so gewesen wäre, hätten sich dann die Christen in Damaskus in ihrer Kirche versammelt und zu Gott um den Sieg der Muslime gegen das christliche Byzanz gebetet, das Damaskus von den Muslimen zurückerobern wollte? Wenn sich die Muslime nicht so verhalten hätten, hätten sie dann so viele Jahre lang die Sicherheit in einem Staat gewährleisten können, in dem man mehr als sechs Monate brauchte, um von der einen Grenze zur anderen zu reisen? Wenn man die muslimischen Herrscher und die dynamische Energie, die sie auszeichnete, mit den Herrschern der heutigen Zeit vergleicht, die noch nicht einmal in einem kleinen Land für Frieden und Sicherheit sorgen können, obwohl ihnen sämtliche Mittel des Transports, der Telekommunikation und der militärischen Unterstützung zur Verfügung stehen, muss man sie einfach bewundern. Viele Gelehrte und Intellektuelle, die sich des Werts der Dynamik des Islam bewusst sind, weisen uns ausdrücklich darauf hin, dass die Muslime sich neu besinnen und versuchen sollten, diese Dynamik wiederzuerlangen. Denn sie war es, die einst die globale Vorherrschaft des Islam begründete und sie wird die Basis unseres ewigen Lebens im Jenseits bilden. Als die Muslime fremde Länder eroberten, eroberten sie gleichzeitig auch die Herzen der dort ansässigen Bevölkerung. Sie wurden von den Einheimischen mit Liebe, Respekt und Gehorsam empfangen. Kein einziges Volk, das sich zum Islam bekannt hat, hat sich jemals darüber beschwert, dass es durch die Ankunft der Muslime kulturell eingeschränkt oder zerstört worden wäre - ein offensichtlicher Kontrast zu den Eroberungen des christlichen Westens.
Die Muslime der Frühzeit des Islam schätzten das Potenzial an Wissen und Kunst, dass die Länder, in die sie kamen, besaßen. Gelehrten und Wissenschaftlern boten sie alle Möglichkeiten, damit sie weiter forschen konnten. Unabhängig davon, welcher Religion diese Menschen angehörten, achteten die Muslime sie sehr und brachten ihnen großen gesellschaftlichen Respekt entgegen. Sie verhielten sich nie so wie die Amerikaner gegenüber den amerikanischen Indianern, die Franzosen gegenüber den Algeriern, die Briten gegenüber den australischen Aborigines oder die Niederländer gegenüber den Indonesiern. Im Gegenteil, sie behandelten die Bevölkerung der von ihnen eroberten Länder so, als kämen sie aus ihrem eigenen Volk und als gehörten sie ihrer eigenen Religion an. Sie verhielten sich ihnen gegenüber wie Brüder.
Der Kalif Umar sagte einmal zu einem koptischen Ägypter, der von einem Adligen aus Mekka geschlagen worden war: „Geh und schlag ihn genauso zurück!" Als Umar hörte, dass Amr ibn al-As die Gefühle eines gebürtigen Ägypters verletzt hatte, wies ihn Umar mit den Worten zurecht: „Die Menschen wurden als freie Wesen geboren. Warum machst du sie zu Sklaven?" Als Umar die Schlüssel für die Al-Aqsa Moschee entgegennahm, besuchte er auch die Priester in mehreren Kirchen in Palästina und unterhielt sich mit ihnen. Einmal war er zur Gebetszeit gerade in einer Kirche. Der Priester bat Umar wiederholt, sein Gebet doch in der Kirche zu verrichten. Umar aber sagte: „Andere Christen könnten dir später vorwerfen, dass du Umar hast in der Kirche beten lassen." Deshalb verließ er das Kirchengelände und betete auf dem Erdboden.
Dies sind nur einige wenige Beispiele, die beweisen, wie sensibel, tolerant, gerecht und menschlich die Muslime gegenüber anderen Menschen waren. Zu einer solchen Haltung aufrichtig empfundener Toleranz hat es außer den Muslimen kein anderes Volk und keine andere Gesellschaft gebracht."
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