Stellungnahme von Fethullah Gülen zu den Äußerungen von Papst Benedikt XVI. über den Islam

FethullahGülen, ein führender muslimischer Gelehrter aus der Türkei, gab anlässlich der jüngsten Bemerkungen des Papstes zum Islam in dessen Rede an der Universität von Regensburg die folgende schriftliche Stellungnahme ab.
Gülen bezeichnete die Sprache des Papstes als höchst unglücklichin einer Zeit, da von Persönlichkeiten der Religion Toleranz und gegenseitiges Verständnis gepredigt werden sollten.
Die folgenden Zeilen geben den vollständigen Text von Gülens Stellungnahme wieder:

Die essentiellen, primären Botschaften aller Propheten Gottes, von Adam bis zu unserem ehrwürdigen Gesandten Muhammad (Friede sei mit ihnen allen!), haben durch die Unterschiede in sekundären Angelegenheiten keine Veränderungen erfahren. Die Wurzel für die Unterschiede, Uneinigkeiten und daraus resultierenden Streitigkeiten und Kriege zwischen den monotheistischen Religionen ist nicht in der Religion bzw. Religiosität, sondern vielmehr in falschen Auslegungen und Abweichungen, auch in den Leidenschaften und Begierden zu suchen, denen sich laienhafte Religionsangehörige ausgesetzt sahen. Sie waren und sind Kinder des Hasses, von Feindschaft und Eigennutz, die der göttlichen Botschaft nicht treu bleiben konnten.

Jene, die den Islam als eine politisch-ideologische Religion wahrgenommen haben, konnten nicht anders, als den Islam aus der Perspektive der jeweils herrschenden Meinungssysteme und Ideologien zu betrachten und zu bewerten, was zu falschen Auslegungen führen musste. Gründe dafür sind in Vorurteilen, aber auch im schlechten Vorbild und in der Inkompetenz einiger angeblicher Muslime zu suchen. Ein solches Zerrbild besteht auch in jener falschen Auslegung, die den Islam auf ein gewaltbereites System und eine reaktionäre Philosophie reduzieren will. Noch bedauernswerter ist jedoch die Tatsache, dass solche Fehler, die den Keim zu Provokation und gesellschaftlicher Entrüstung in sich tragen, von Repräsentanten der Religion begangen werden.

Dabei ist doch jede Botschaft des Islams eine Melodie des universalen Friedens, eine Dichtung, die mit jedem Atemzug gesellschaftliche Harmonie, Toleranz und offene Dialogbereitschaft verströmt.

Im Gegensatz dazu sind Reaktionen wie Grobheiten und Ungeschicklichkeiten, Hass und Verachtung einerseits Anzeichen für den Seelenzustand derer, die auf ihren Vorurteilen gegenüber dem Islam beharren; andererseits zeugen sie, als ein Produkt von unverdaut Hervorgewürgtem, Erbrochenem, von der Reizbarkeit und Unduldsamkeit der unwissenden Mitglieder der Religionsgemeinschaft. Denn in einem Herzen, in dem der Islam Eingang gefunden und sich verfestigt hat, ist, um des Schöpfers und der Achtung der Geschöpfe willen, nur Raum für Liebe, Anteilnahme und Toleranz.

Und doch schafft das unbefriedigte Verlangen der Menschen in unserer von jahrhundertealten Kriegen und Streitigkeiten erschöpften Welt wieder die Grundlage für erneute Auseinandersetzungen. Daher müssen alle Menschen mit Verantwortung und Verantwortungsbewusstsein, insbesondere die Angehörigen der verschiedenen Religionen, Botschafter des Friedens und des Dialogs werden, um die Erde in eine Wiege des Friedens, der Einigkeit, der Liebe und der Freundschaft zu verwandeln. Aus diesem Grund hatte der Vatikan auch den Drang verspürt, sich für seine Taten in der Vergangenheit und für seine Rolle bei den Kreuzzügen zu entschuldigen.

Aber die Rede von Papst Benedikt XVI. an der Universität Regensburg hat einen neuen, außergewöhnlichen Zustand hervorgerufen, indem er die Ansichten des Ende des 14. Jahrhunderts lebenden byzantinischen Kaisers Manuel II. Paläologos zitierte, die von den bis dahin geltenden Ansichten des Vatikans abweichen, wodurch er sich gezwungen fühlte, sich zu „entschuldigen". Ich mache mir ernste Sorgen, dass die Äußerungen von Benedikt XVI., nicht zuletzt kraft seines Amtes, zu etlichen Provokationen und traurigen Vorfällen zu führen im Stande sind. Denn in seiner Rede wurden Muslime beleidigt, da der Gottesglaube des Islams missachtet und zugleich unserem Propheten (Friede sei mit ihm!) etwas Gehässiges unterstellt wurde.

Solche Äußerungen aus dem Munde des einflussreichsten Führers der katholischen Welt und eine Akzeptanz solcher Gedanken an der Basis sind dazu angetan, zu einer Ermutigung radikaler Gruppierungen führen. Damit wäre aber zu befürchten, dass die Erde in ein Blutbad wie zu Zeiten der Kreuzzüge versinkt.

Ich hoffe, dass die Muslime, die sich zumindest eine Entschuldigung erwarten - was das natürliche Recht der Gläubigen ist -, eine zivilisierte Reaktion zeigen, welche im Rahmen der moralischen Prinzipien ablaufen sollte, die unsere Religion gebracht und die der Prophet der Barmherzigkeit (Friede sei mit ihm!) vorgelebt hat. Auf keinen Fall aber dürfen sie sich, wie bei der Karikaturenkrise, provozieren lassen.

Diese Rede von Papst Benedikt XVI. hat aber auch deutlich gezeigt, dass das Bedürfnis der Menschheitsfamilie nach einem Dialog stärker ist als je zuvor. Wichtig ist, dass wir als Menschen allen Mitmenschen gegenüber die einzigartigen Prinzipien aufzeigen, die der Islam und der Gesandte Gottes (Friede sei mit ihm!) den Menschen, ihrer Natur entsprechend, gebracht haben - indem wir nämlich eine Performanz an den Tag legen, durch die wir den Abstand zwischen unseren religiösen, politischen und ideologischen Unterschieden überwinden können. Denn - ob wir wollen oder nicht - wir Menschen teilen uns in einer globalisierten Welt dieselbe Erde, wir haben nur diese eine.

M. Fethullah Gülen

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