Der ökumenische Status des Patriarchen und die Politik der USA im Irak

Was ist Ihre Meinung zum orthodox-theologischen Seminar [auf der Prinzeninsel] Heybeli (Halki) und zum Status der Ökumene?

Bei diesem Thema geht es um die Politik des Staates. Alle Stellungnahmen sollten dies berücksichtigen. Das Patriarchat ist handlungsfähig. Ich habe den Patriarchen bereits viele Male getroffen.

Vor meinem ersten Treffen mit ihm informierten wir die staatlichen Stellen, um in Erfahrung zu bringen, wie wir uns dem Thema nähern könnten. Denn ich wusste, welche Ansprüche er stellte. Weiter möchte ich hier jedoch nicht ins Detail gehen. Seit der Gründung des Patriarchats wird der Mann an seiner Spitze Ökumenischer Patriarch genannt. Natürlich wird dieser Titel auch heute noch verwendet. Das Patriarchat handelt unabhängig und stellt bestimmte Ansprüche. So sieht es auch die amerikanische Botschaft. Bevor wir die Ansprüche des Patriarchats ablehnen, sollten wir uns anschauen, worauf sie basieren. Man mag vielleicht nicht einverstanden damit sein, dass sie sich als ökumenisch bezeichnen, aber diesen Begriff haben sie nun einmal bis heute benutzt. Offiziell werden ja auch nicht Titel wie Hocaefendi (Lehrer), Vaiz Efendi (Prediger) oder Mufti Efendi verliehen. Nichtsdestotrotz werden sie benutzt, weil die Menschen ganz einfach gewohnt sind, sie zu benutzen. Ich verlange von niemanden, mich mit einem Titel anzusprechen, und trotzdem nennen die Leute mich Hocaefendi. Diesen Aspekt sollte man unbedingt in Erwägung ziehen.

Welche Ziele verfolgt der Patriarch?

Als wir uns getroffen haben, sagte er Folgendes: „Ich bin ein türkischer Staatsbürger. Ich möchte, dass man mir die Möglichkeit gibt, das Seminar wieder zu eröffnen, damit wir unsere Leute ausbilden und von der Türkei aus in die Welt schicken können. Ich habe diese Botschaft einem der früheren Präsidenten überbracht, der mir daraufhin entgegnete: „Er ist ein kluger Mann." Vielleicht dachte er noch anders. Meine Meinung ist, Klugheit sollte man mit Klugheit begegnen. Es wäre doch sehr vorteilhaft für die Türkei, wenn Priester in der Türkei ausgebildet und die türkische Kultur besser kennen lernen würden. Das gab es ja in der Vergangenheit auch, angefangen mit Sultan Fatih [Mehmet II., der Eroberer] bis in unsere Zeit hinein. Wenn die Wiedereröffnung des Seminars eine Lösung bietet, sollten wir kein Problem daraus machen. Ich hoffe, dass man sie nicht nur deshalb nicht zulässt, weil ich mich dafür ausspreche. Mögliche Spaltungen unseres Volkes kann ich nicht gutheißen, auch dann nicht, wenn nur zehn Leute davon betroffen sind. Man muss abwägen, was die Türkei gewinnt oder verliert. Eine allzu emotionale oder gar eine feindselige Reaktion steht dem türkischen Volk, das eine reife, besonnene und wunderbare Vergangenheit hat, nicht an. Auf der anderen Seite halte ich es auch für falsch, wenn man sich bei der EU über die Türkei beschwert und verlangt, diese solle in der ,ökumenischen Frage' Druck auf die Türkei ausüben. Ich denke, die Verantwortlichen sollten mit der Regierung über ihre Probleme reden.

Immer wieder wird kritisiert, dass Sie sich in den USA aufhalten. Manche bringen Sie mit dem Plan der USA für einen ,Größeren Nahen Osten' in Verbindung. Einige fragen Sie, warum Sie nicht nach Deutschland oder Frankreich gegangen sind, andere hätten es für angemessener gehalten, wenn Sie nach Saudi Arabien oder Iran gegangen wären: „Wenn er ein guter Muslim ist, warum geht er dann nicht in diese Länder, sondern bleibt in den USA?", argumentieren sie. Warum also ausgerechnet Amerika?

Bevor ich mich hier niederließ, sind einige Dinge passiert. Erstmals kam ich 1997 zu einer Angiographie [einer Röntgenuntersuchung, bei der mit Hilfe von Röntgen-Kontrastmitteln Gefäße sichtbar gemacht werden] in die USA und blieb dort für zwei oder drei Monate. Der Präsident, Suleyman Demirel, gab mir ein Empfehlungsschreiben und rief Dr. Murat in Cleveland an, dem ich sehr dankbar dafür bin, dass er mich behandelte und mir gute Ratschläge gab. Er bestand auf einer Operation. Selbst da hieß es: „Warum Amerika, was will er dort? Er ist dorthin geflohen." Bei meiner anschließenden Rückkehr besaß ich nicht einmal mehr die Kraft, meine Bettdecke zurückzuziehen. Ich nahm die Medikamente, die die Ärzte mir verschrieben hatten. Dann konnte ich auf dem Laufbahn laufen und Spaziergänge an der frischen Luft machen. Aber mein Zustand war nicht stabil. Also flog ich zurück in die USA, aus dem gleichen Grund wie zuvor. Dr. Sait von der Mayo Klinik, ein Türke von der Krim, hatte mich bei einem Besuch in der Türkei untersucht und mir dringend geraten, zu ihm in die USA zu kommen. Hätte ich eine solche Einladung aus Deutschland erhalten, wäre ich dorthin gegangen. Ich brach also erneut auf in die USA, wo man mit der Behandlung begann. Ein oder zwei Monate später flog in der Türkei die Verschwörung auf, aber ich musste bleiben. Ich wollte zurückkommen, aber die Ärzte verboten es mir. „Sie würden sich in große Gefahr begeben", sagten sie. Was meinen Gesundheitszustand betrifft, so existieren dazu zahlreiche ärztliche Bulletins, die keine Zweifel zulassen. Warum hätte ich fliehen sollen? Wovor hätte ich fliehen sollen?

Einige Leute behaupten auch, sie stünden mit einem Fuß in den USA, mit dem anderen in Saudi Arabien.

Das letzte Mal, dass ich in Saudi Arabien war, war 1986 zur Pilgerfahrt. 20 Jahre lang bin ich also nicht mehr dort gewesen. Wenn ich dort gewesen wäre, würden die gleichen Leute mein Handeln wahrscheinlich so interpretieren: „Er steht mit beiden Füßen in Saudi Arabien", und sie würden ganz andere Fragen stellen. Schlimmer noch ist der Iran-Vorwurf. Um ehrlich zu sein, ich hatte noch nie Kontakte mit dem Iran. An gemeinsamen Bildungs-, Kultur- oder Dialogprojekten türkischen Ursprungs hatte man dort keinerlei Interesse. Ich denke nicht, dass ich oder meine Freunde dort willkommen wären. Wir jedenfalls haben keine Vorstöße in diese Richtung unternommen. Wäre ich in den Iran gegangen, hätte es geheißen: „Auge und Ohr, Hand und Fuß des Westens sind im Iran." Solange die Herzen dieser Menschen verdorben sind und sie ein bestimmtes Bild von mir im Kopf haben, werden sie auch weiterhin solche Kommentare abgeben. Es ist nicht meine Aufgabe, ihnen den Mund zu verbieten. Die Gedanken und die Zunge sind frei. Wenn diese Freiheit verletzt wird, dann um uns zu schädigen.

Wie bewerten Sie den politischen Prozess, den die USA seit dem 11. September durchlaufen?

Ich fühle mich nicht gezwungen, den 11. September und seine Auswirkungen genauso zu bewerten, wie die Amerikaner oder irgendwelche anderen Parteien es tun. Damals wurden die Türme zerstört, und an einigen anderen Orten sind bestimmte Dinge vorgefallen. Möglicherweise wurden diese Greueltaten von Tätern geplant und begangen, die die Reaktion der USA vorausgesehen haben. Sie haben die Weichen für das gestellt, was dann in Afghanistan und im Irak geschah. Wenn es diese Leute tatsächlich gibt, dann haben sie ihr Vorgehen sorgfältig geplant und ins Schwarze getroffen. Sie haben eine Serie von Greueltaten entfesselt, die nun auf globaler Ebene stattfinden. All das hat Probleme mit sich gebracht, die nach wie vor auf eine Lösung warten. Die Methoden, mit denen man diese Probleme zu lösen versucht, werden immer umstritten sein. Klar ist jedoch, dass bislang eher mehr Probleme geschaffen wurden. Der Irak beispielsweise ist gerade dabei, in seine Bestandteile zu zerfallen. Hätte man das nicht verhindern können? Hat die Türkei genug Einfluss ausgeübt? Haben die Reaktionen der Nachbarländer irgendetwas zu bedeuten, oder sind sie unter den gegebenen Umständen eher bedeutungslos? Der gesamte Nahe Osten befindet sich in großer Gefahr. Andere Länder könnten dem Irak folgen. Diejenigen, die das Vorgehen [im Irak] geplant haben, haben den 11. September zum Anlass genommen. Wie dem auch sei, jedenfalls sind die USA in eine Sackgasse geraten.

Welche Fehler haben die USA begangen?

Viele Fehler. Als sie kurz davor standen zu handeln, baten wir einige türkische Akademiker, zu denen wir gute Beziehungen hatten, den US-Funktionären eine Botschaft zukommen zu lassen, in der stand, dass sie es lieber nicht tun sollten. Außerdem teilten wir ihnen unsere Befürchtungen in Bezug auf die [territoriale] Integrität des Irak mit. Sie antworteten uns: „Sie [die US-Funktionäre] sind nicht in der Stimmung wahrzunehmen, was sich hinter dieser Perspektive verbirgt. Sie sind fest entschlossen. Sie scheinen den Informationen, die man ihnen gegeben hat, blind zu vertrauen."

Später stellte sich heraus, dass die CIA-Informationen nicht zutreffend waren. Das heißt, dass es offenbar Leute an verantwortlicher Stelle gab, die wollten, dass die Dinge so geschehen, wie sie dann geschehen sind. Möglicherweise haben diese Leute Falschinformationen gegeben.

Ein übermächtiger Staat hat sich, wie bereits in Vietnam, in ein Abenteuer gestürzt. Obwohl man offiziell stets betont, man sei erfolgreich und auf einem guten Wege, die Demokratie zu verwirklichen, kann man davon ausgehen, dass das Schicksal des Irak nicht unter Kontrolle ist. Die Verantwortlichen schaffen es ja noch nicht einmal, einen Schritt zurück zu machen. Sie schmieden Pläne, die es ihnen ermöglichen zu bleiben. Sie stellen sich vor, Kämpfe zwischen den unterschiedlichen Gruppen anzuzetteln, um anschließend ihre eigene Position als Schlichter zu festigen. Sollen sie sich zurückziehen? Oder sollen sie die moderaten Muslime sich selbst überlassen und den anderen das Genick brechen? Gegenwärtig bemühen sie sich darum, ihren Ruf zu retten und gleichzeitig ihre Erwartungen zu erfüllen.

Wenn Sie im Vorfeld mit den Amerikanern hätten sprechen können, was hätten Sie ihnen geraten?

Die USA sind für das Gleichgewicht der Welt von großer Bedeutung. Bislang waren sie für ihr demokratisches System bekannt. Aber sie hätten ihre Glaubwürdigkeit nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen dürfen. Sie haben viel Kredit verspielt und ihren guten Ruf ruiniert. Selbst wenn sie nun nackte Gewalt anwenden, erfordert die Logik jetzt von ihnen, zwei Schritte zurück zu gehen. Das Problem ist nur: Wenn nackte Gewalt im Spiel ist, tritt die Vernunft zwangsläufig in den Hintergrund. Man hätte sich zusammensetzen und nach anderen Lösungen fahnden sollen. Der Frieden und der Zusammenhalt des Irak hätten nicht zerstört werden dürfen. Das Gleichgewicht in der Region ist aus dem Ruder geraten, und wenn diese Situation bestehen bleibt, wird bald noch mehr Chaos herrschen. Die Gewichte haben sich zum Nachteil der Türkei und zum Vorteil anderer verschoben. Mit den Schiiten im Bunde wird der Iran an Einfluss gewinnen.

Ist sich die Türkei dieser Verschiebung der Kräfte bewusst?

Ich glaube nicht in vollem Umfang. Im Jemen gibt es die Zaiditen, die Ali bevorzugen. Alle Kräfte vom Nahen Osten über den Jemen bis hin nach Mittelafrika haben sich verschoben. Die Türkei sollte sich das deutlicher vor Augen führen.

Worin liegt die besondere Bedeutung des Irak?

Hinter der Türkei ragt der Irak wie der Mount Everest auf. Von dort aus können Sie sehen, wie Ihnen die Steppen Asiens zu Füßen liegen. Der Irak ist wie ein Himmelsgewölbe. Nicht umsonst schlug Hulagu [der Enkel Dschingis Khans] dort sein Zelt auf. Die Abbasiden hatten vom 2. Jahrhundert [nach der Hidschra] an dort ihren Sitz, bis sie das Kalifat schließlich an Yavuz [Selim I.] übergaben. Die Zangiden, Seldschuken, Ilkhaniden, Karakhaniden und Ummayaden - sie alle wussten um die Bedeutung dieser Region. Von hier aus lässt sich der Nahe Osten kontrollieren und der Ferne Osten verwalten. Die Pläne von heute zielen auf die Dominanz in der Region und im Fernen Osten ab. Das Resultat ist jedoch nicht zu ihren Gunsten [zu Gunsten der USA] ausgefallen. Die Sunniten haben die Situation so nicht gewollt, obwohl sie doch von der Diktatur Saddams massiv unterdrückt worden waren. Ich wünschte, man hätte sich darauf beschränkt, Saddam zu stürzen, und die Integrität des Landes bewahrt, indem man Sunniten, Schiiten, Kurden und Turkomanen an einen Tisch gebracht hätte. Eine solche ,sanfte' Verwaltung hätte dem Ruf der USA keineswegs geschadet. Man hätte sie im Nahen Osten als wahre Verfechter der Demokratie betrachtet und bewundert. Den Leuten nun aber zu sagen, man verfolge gute Absichten, ist nicht so einfach.